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Zur Geschichte der tschechischen Sprache

 


 
 
Es war ein Deutscher, der sich - wie ein erhaltenes Vokabular erkennen läßt - noch im Alter von 72 Jahren um das Tschechische bemühte. Goethe war es, der in Marienbad mit Dobrovský über tschechische Literatur diskutierte und die Bestrebungen dieses Neuerweckers der tschechischen Sprache wohlwollend förderte.

Das Tschechische, dem etliche schon den Untergang voraussagten, hat eine literarische Überlieferung, die ihm einen Ehrenplatz unter den slawischen Sprachen sichert. Josef Dobrovský, der erste namhafte Erforscher der tschechischen Sprache, wurde zum Wegbereiter der Slawistik überhaupt.

Die Geschichte der tschechischen Sprache beginnt an der Schwelle der Feudalzeit, als unter den Pøemysliden der in der Landesmitte wohnende Stamm der Tschechen die anderen slawischen Stämme Böhmens um sich einte. Die gegen Ende des 10. Jahrhunderts gefestigte Zentralgewalt wurde bald auch auf die slawischen Stämme Mährens ausgedehnt. Die mundartlichen Unterschiede wurden von der allmählich sich entfaltenden tschechischen Literatursprache überbrückt.

Diese Literatursprache konnte teilweise noch an die altslawische Tradition anknüpfen, an die im 9. Jahrhundert von Kyrill und Methode für die mährische Mission geschaffene kirchenslawische Sprache, die zwar vor der lateinischen Liturgie zurück weichen mußte, von deren wesentlichem Wortgut aber manches in das Tschechische übernommen wurde.

Die ersten Spuren der tschechischen Literatursprache begegnen als tschechische Glossen in lateinischen Handschriften des 11. bis 12. Jahrhunderts. In der folgenden Zeit tauchen bedeutendere Denkmäler auf, ehrwürdige Lieder, zum Teil noch mit altslawischen Eigentümlichkeiten ("Hospodine, pomiluj ny"). Im anhebenden 14.Jahrhundert - noch vor der Gründung der Prager Universität - gewinnt die tschechische' Dichtung Anschluß an die Weltliteratur, wovon ein tschechisches Alexanderepos ein beachtliches Zeugnis gibt. Die tschechische Prosa erreicht in den Erbauungsschriften ©títnýs eine außerordentliche Höhe, die auch Karl Marx zu rühmen weiß. Es war eine bahnbrechende Leistung, entgegen dem gelehrten Brauch Dinge der Philosophie nicht in lateinischer, sondern in tschechischer Sprache zu behandeln. ©títnýs Beispiel fand Nachahmung auf anderen Gebieten.

Freilich wurde die tschechische Literatur in der feudalen Ordnung des Mittelalters gesellschaftlich nur von einer dünnen Schicht getragen. Ihre Sprache unterschied sich in Stil und Ausdruck von der des breiten Volkes. Eine gewaltige Änderung bewirkte die von Hus entflammte Revolution. Der kühne Prediger, der sich an die Massen wandte, verhalf der lebendigen Sprache des Volkes zum Durchbruch, frei von Künsteleien und Archaismus. Die Böhmischen Brüder, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine meisterhafte Übersetzung der Bibel lieferten, erwarben sich um die Festigung einer volksnahen tschechischen Literatursprache ähnliche Verdienste wie Martin Luther um die einheitliche neuhochdeutsche Sprache. Der Humanismus zeitigte Früchte.
 

Da kam die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges, die Schlacht auf dem Weißen Berge, in der die protestantischen Stände Böhmens - Tschechen und Deutsche - geschlagen wurden. Schriftsteller wie der Pädagoge Jan Amos Komenský (Comenius) wurden aus konfessionellen Gründen ins Exil getrie-ben. Die kosmopolitisch gesinnten neuen Herren hatten für die tschechische Sprache wenig übrig. In der Verwaltung des habsburgischen Vielvölkerstaates, dem die böhmischen Länder nun für nahezu dreihundert Jahre eingegliedert waren, stand das Deutsche obenan, weil es als die zweckmäßigste Verbindungssprache betrachtet wurde, aber nicht etwa, weil die Untertanen deutscher Zunge den Regierenden mehr gegolten hätten als die anderer Nationalität. Die Untertanen wurden nicht nach ihrer Muttersprache, sondern nach ihrer Klassenzugehörigkeit bewertet. Weil indes die mächtigen Adligen und nach ihnen die vermögenden Bürger in den Städten auch Innerböhmens sich immer , mehr der deutschen Sprache bedienten, weil ferner in vielen neuorganisierten Schulen außer dem Lateinischen das Deutsche als Unterrichtssprache gebraucht wurde, waren es im 18. Jahrhundert in der Hauptsache nur die Bauern, die Handwerker und die Arbeitsleute, die noch tschechisch redeten.

Wohl brachte die Aufhebung der Leibeigenschaft 1781 ein Aufatmen, wohl boten die Schulen der Aufklärung auch tschechischen Kindern gewisse Bildungsmöglichkeiten, doch selbst Patrioten äußerten gelegentlich, daß die tschechische Sprache vor ihrem Ende stehe. Kennzeichnend für die Situation noch im Jahre 1810 ist eine Stelle in einem Briefe Dobrovskýs: "Causa gentis nostrae, nisi deus adjuvet, plane desperata est." (Die Sache unseres Volkes ist, wenn Gott nicht hilft, völlig hoffnungslos.) Damals erschien in tschechischer Sprache kaum ein Buch von Rang. Dobrovský schrieb seine slawistischen Werke , lateinisch oder deutsch.

Dennoch wurde damals die Grundlage zu einem ungeahnten Wiederaufstieg gelegt. Indem Dobrovský die unsicher gewordene tschechische Sprache im Fundament der anderen slawischen Sprachen grammatisch verankerte, gab er ihr einen festen Halt. Indem er dem Alttschechischen die Gesetze der tschechischen Wortbildung entnahm, trat er unglücklichen Neuschöpfungen gewisser Puristen erfolgreich entgegen und bewahrte die tschechische Schriftsprache vor heilloser Verwirrung. Dabei trug er den sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnissen durchaus Rechnung und ließ Neuerungen, die dem Charakter des Slawischen nicht zuwiderliefen, freie Bahn.
 
 
 

Erfüllt von Herders Verheißung, die gerade auch den kleineren slawischen Völkern lockende Perspektiven eröffnete, erstritten Dobrovskýs Freunde und Nachfolger weitere Siege. Der Historiker Palacký forderte, daß die tschechische Sprache auch in wissenschaftlichen Schriften verwendet werden möge. Der Philologe Jungmann arbeitete unermüdlich an der Prägung neuer tschechischer Ausdrücke für alle Sachgebiete und bot den fleißig gesammelten Wortvorrat in einem fünfbändigen tschechisch-deutschen Wörterbuch dar {1835-1839). Der junge Mácha war es, der, das aus Gelehrtenstuben aufsteigende Wunder der "nationalen Wiedergeburt" in dichterische Form bannte, der in dem Versepos "Máj" (1836) der tschechischen Sprache Schwung und Flug verlieh und der als erster Sänger des Mai gleichnishaft das Frühlingserwachen seines Volkes kündete.

Die bürgerliche Revolution von 1848, die das feudalistische System in Verwaltung und Gerichtsbarkeit beseitigte, das zähe Ringen um eine freie Presse und die demokratischen Forderungen der gewählten Volksvertreter bedeuten wiederum ein Vorwärts. Die Zahl derer, die sich nun zur tschechischen Nationalität bekannten, vervielfachte sich.

Die Zuwanderung tschechischer Arbeitskräfte in die durch eine wachsende Industrie sich sprunghaft erweiternden Städte und das Erstarken eines tschechischen Bürgertums bewirkten, daß in Prag und in anderen Orten im Inneren Böhmens und Mährens, in denen das Deutsche eine wichtige Rolle gespielt hatte, bald die mehr oder weniger große Mehrheit der Bevölkerung tschechisch sprach. Das in der bürgerlich-kapitalistischen Epoche trotz aller Widerstände mannigfaltig aufstrebende tschechische Schrifttum zeigt eine Sprache von erstaunlicher Vielgestalt.

Die fortschrittlichen tschechischen Dichter, fast durchwegs "Kinder kleiner Leute", dem bäuerlichen Land und dem Proletariat entstammend, vertraten die Interessen der sich formierenden Arbeiterklasse und wurden zu nationalen Führern, wobei der nationale Kampf auf langen Strecken zugleich ein Klassenkampf war und dadurch in seiner Intensität gesteigert wurde. Der besonderen nationalen Rolle der tschechischen Schriftsteller verdankt die tschechische Literatursprache eine besondere Volksverbundenheit, die ihre Stärke blieb : von Bo¾ena Nìmcová und Karel Havlíèek über Jan Neruda und Alois Jirásek bis zu Petr Bezruè, Karel Èapek, Julius Fuèík und anderen.

In der 1918 ausgerufenen Tschechoslowakischen Republik wurde die tschechische Sprache zur Staatssprache erhoben, die in Böhmen, Mähren und Schlesien (ehedem Österreichisch-Schlesien mit der Hauptstadt Troppau) die Sprache der Behörden wurde, während in der Slowakei das Slowakische als Amtssprache Gültigkeit erlangte. Seit 1945 wird dem Slowakischen die Gleichberechtigung im gesamten Staate zuerkannt: so sendet Radio Prag Nachrichten sowohl in tschechischer wie in slowakischer Sprache. Das Slowakische, das sich erst seit 1844, dem Erscheinungsjahr eines slowakischen Almanachs, als eigene Schriftsprache durchsetzte, ist dem Tschechischen aufs engste verwandt, hat jedoch in seinem Lautstand Eigentümlichkeiten aus älterer Zeit festgehalten.
 

Überblicken wir die Entwicklung des Tschechischen im Laufe von mehr als tausend Jahren, bemerken wir Wandlungen, durch die es sich von den anderen slawischen Sprachen geschieden hat. Die urslawischen Nasallaute, die im Polnischen noch vorhanden sind, wurden im Tschechischen schon in vorliterarischer Zeit durch andere Laute vertreten: polnisch jêzyk (mit Nasallaut ê), doch -tschechisch jazyk 'Sprache'; polnisch m±¾ (mit Nasallaut ±), doch tschechisch mu¾ 'Mann'. Sehr früh wurde der Wortakzent auf die erste Silbe gezogen - ähnlich der Stammsilbenbetonung im Deutschen -, während das Polnische den Akzent auf der vorletzten Silbe fixierte und das Russische den beweglichen Wortakzent beibehielt : tschechisch sirota ' Waise' mit betontem i, polnisch sierota mit betontem o, russisch sirota mit betontem a und russisch Pl. siroty 'Waisen' mit betontem o.
 

Gegen Ende des 12. Jahrhunderts entwickelte sich aus früherem g der Laryngal h: Praga, eingedeutscht als 'Prag', wurde zu Praha; grad wurde zu hrad 'Burg', gegenüber polnischem gród und russischem gorod. Im 13. Jahrhundert entstand aus früherem palatalem r jener für Nichttschechen schwer aussprechbare Zischlaut ø: rerneslo wurde zu øemeslo 'Handwerk', während im Slowakischen remeslo blieb. Im 12. Jahrhundert bereits vollzog sich nach gewissen Lauten der Wandel von a zu ì (je), im 14. Jahrhundert der von u zu i : zem'a wurde zu zemì 'Erde', l'ud zu lid 'Volk'.

Interessant ist das Schicksal der aus langem e und langem o entstandenen Zwielaute ie und uo, die im 15. und 16. Jahrhundert zu langem i und langem u vereinfacht wurden: miesto wurde zu místo 'Ort, Platz', duom zu dùm 'Haus' (í bezeichnet langes i, ù langes u). Ein ähnlicher Wandel war im Deutschen erfolgt: mittelhochdeutsch lieb wurde zu nicht mehr diphtongiertem lieb (mit langem i), mittelhochdeutsch guot wurde zu gut (mit langem u).

Neben den anderen Erscheinungen des Lautwandels wurde für das Tschechische noch die Scheidung der Vokale nach ihrer Quantität von Wichtigkeit. Die langen Vokale wurden in der Rechtschreibung mit Längezeichen versehen, " von den kurzen also auch graphisch abgehoben. Diese Scheidung betrifft oft : die Bedeutung: páni 'Herren', dagegen paní 'Frau'. Die moderne tschechische Rechtschreibung ist im großen und ganzen lautgetreu. Dies ist ein Verdienst von Hus, der für die besonderen Laute praktische Unterscheidungszeichen einführte, die durch die Böhmischen Brüder noch verbessert wurden. Einige dieser Zeichen, zum Beispiel ¹ für jenen Laut, der im Deutschen mit 'sch' wiedergegeben wird, wurden vollends in die internationale Lautschrift übernommen.
   
 

Was die Formenlehre anlangt, sind im Tschechischen seit der urslawischen , Zeit keine Umstürze geschehen. Von den Vergangenheitsbildungen des Verbs sind der Aorist und das Imperfektum vom 14. Jahrhundert an allmählich verschwunden, während sie z. B. im Sorbischen heute noch gebraucht werden. Weggefallen ist ferner der Dual beim Verb und beim Substantiv; nur Reste sind noch da: ruce 'Hände' statt der eigentlichen Mehrzahlform ruky. Bei der Deklination sind trotz gewisser Angleichungen an andere Muster die alten Endungen in stärkerem Maße feststellbar als in den ostslawischen Sprachen: beispielsweise bei der Mehrzahl der o-Stämme im Dativ plodùm (aus plodóm) und im Instrumental plody gegenüber russischem plodam und plodami (zu plod 'Frucht').

Auch das alte slawische Worterbe hat sich im allgemeinen erhalten, wiewohl das Tschechische im Laufe der Jahrhunderte bei der steigenden Produktion. und den sich mehrenden Gebieten menschlicher Betätigung teils durch Neubildungen auf Grund des alten Wortfonds, teils durch Entlehnungen aus anderen Sprachen einen weitaus umfassenderen Wortschatz erworben hat. Dies offenbart nun vor allem das Wörterbuch, das von der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird.

Fremde Wörter drangen von alters her vorweg aus der deutschen Nachbarschaft ein, freilich auch aus anderen Sprachen. Die Feudalklasse brachte Wörter wie rytíø 'Ritter' und erb 'Wappen (Erbe)', das Bürgertum der Städte purkmistr 'Bürgermeister' und rynk 'Marktplatz (Ring)', Handwerker und Bergleute hamr 'Hammer' und halda 'Halde' u. a. m. Hus schon tadelte die Fremdwörterei und empfahl zum Beispiel für ¹orc 'Schürze' tschechisch zástìrka. Den nationalen Wiedererweckern gelang es mitunter, auch dort tschechische Ausdrücke zu schaffen, wo in anderen slawischen Sprachen nach wie vor Wörter fremder Herkunft verwendet werden: mluvnice für gramatika, entsprechend deutschem 'Sprachlehre' für 'Grammatik', und divadlo für teátr, entsprechend deutschem 'Schaubühne' für 'Theater'. Jungmann paßte russische Wörter dem tschechischen Munde an: pøíroda 'Natur (russisch priroda) und vzduch 'Luft' (russisch vozduch). Im sozialistischen Aufbau nach 1945 wurden aus dem Russischen Wörter übernommen wie z. B. úderník (russisch udarnilr) 'Stoßarbeiter' , provìrka (russisch proverka) 'Kontrolle', po¾árník (russisch po¾arnik) 'Feuerwehrmann' usw.

Die Erfordernisse der sozialistischen Gesellschaftsordnung stellen auch der tschechischen Philologie neue Aufgaben. Man verlangt in vielen Fachbereichen eine genauere Terminologie, die den neuen Auffassungen gerecht wird. Bei der neuen Begriffsproblematik soll der Grundcharakter der tschechischen Sprache keine Störung erleiden, ihre Elastizität und ihre Farbenfreude soll gewahrt werden.

Rudolf Fischer: Tschechische Grammatik, VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig 1975

 
 
 
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